Ich habe Romy vor mehr als fünfzehn Jahren als Richard kennengelernt, als ich noch nie etwas von Intersexualität gehört hatte.
Im Herbst 1982 kam ein Baby zur Welt, dessen äußere Genitalien einem Geschlecht nur schwer zuzuordnen war: der Penis war viel zu klein, allerdings konnte es auch keine Klitoris sein, da die Harnröhre dadurch verlief. Auf die Frage der Mutter, ob das Kind „normal“ sei, antwortete der Arzt, dass der „Junge“ wahrscheinlich vor der Pubertät Medikamente bräuchte, um sich gut zu entwickeln.
Die Mutter war damals knapp vierzig Jahre alt und war nicht glücklich über ein weiteres Familienmitglied, da sie bereits vier Kinder hatte. Ein Junge, der Medikamente brauchte, um zu einem Mann heranzureifen, war ihr suspekt. Aber es blieb ja freilich nichts anderes über, als diese Tatsache zu akzeptieren.
Um ja keinen Verdacht bei den Nachbarn aufkommen zu lassen, dass etwas mit diesem Kind nicht „stimmte“, vereinbarte man Stillschweigen darüber und die Freude des Vaters, einen Sohn nach drei Töchtern bekommen zu haben, überwog die Tatsache, er sei ein etwas schwächlicher Junge.